SO FLIEGT EIN SCHMETTERLING (ÜBER 1000 KM)

BASIS



1. Basalregion


diesen herbst werde ich ohne den kopf 

des sturms in meinem schoß begehen 

er sprach mit vollem mund "so soll es sein" 

es abblättert schon 


das braune gefieder der rebhühner

halluziniert sich hin zur mitternacht-schwarzflügel-pfau-pracht

selbst mir wachsen beginnend 

flügelstumpen aus den schultern


ich hatte den ruf vernommen

es gar nicht bemerkt

drehte mich um und hinter mir 

tausende von schmetterlingen

alle sich dem ruf hingebend 

zum aufbruch hin


wenn es so viele zusammen sind

man glaubt es kaum 

macht es einen höllenlärm


die ohren zuhaltend renne ich 

in die untergehende sonne 

deines totschweigenden mundes


2. Diskalregion


stimmt gar nicht: 

zwei schmetterlinge sind es nur 

die mir die hand reichen 

und mich begleiten im tanz 

auf meinem spaziergang am feld entlang

die wendeltreppe hinab

– wartest du dort auf mich?


vogelbeeren hatte ich gegessen 

in der irrung es seien äpfel

so klein hatte ich mich gemacht

mit nur fünf atemübungen 

die ich im internet gefunden hatte


nach all den vorwürfen und 

gescheiterten insta- und tiktok-existenzen

meines mittlerweile 

vom ver– und überdruss 

zusammengefalteten selbst


dabei hatte der sommer mir noch 

die molochpunkte akkupunktiert

mich mit sandstrand verdreckten 

fingernägeln an die matratze gepfählt 

und ans schicksal verpfändet


ein buch über mich 

mit weit über vierhundert charakteren

hatte ich geschrieben 

als unzuverlässiger erzähler

aber guter vorleser flatterhaft 


und in unzähligen nächten

dir erinnerin begleiterin seele

ein battle-royale computergame 

aus gleicher story programmiert


3. Postdiskalregion


(merkst du 

wie der raum kleiner wird

wir sind die letzten zwei kämpfenden

ich mag es wenn du im fighten lachst

und dem joystick im überschwang 

den hals verdrehst)


die flügel sind mir ausgewachsen nun

zum median-aderlass mach es mir gut

und rechtens auf das die ungleiche säftevermischung

wieder ins lot gebracht wird trink du nur

noch fliegt es sich leicht schräg und unbeholfen

ohne deinen aufwind gebenden atem wenn 

du mir mut zuredetest

– wartest du dort auf mich?


und dicke tränen sturzbachten 

ins bettleinen 

und gespeichel und gefeucht sturzbachten 

dass es ein wahres richtfest war

aufgerichtet sollte jede*r werden


der ins augenlicht auf den flügeln sah 

doppelreflektierendes blau und gelb 

das wildtierauge imitierende beim auffliegen


dem viel umkämpften

ohne fangbewilligung illegal

war ich ins netz gegangen


erebia christi – endlich 

wein anstossen müssen wir darauf

so bestimmt es der brauch

auf das es immer nacht bleibe

und dann wieder tag

im ewigen rausch


die schatten von tausenden 

schmetterlingen zappeln an 

den wänden des schlafzimmers

im walliser laggintal

traumlos liegend



4.Submarginal Region 


stimmt gar nicht:

blätterschatten sind es nur 

sturmgeschüttelt von dem baum 

der sich vor dem fenster der stadtwohnung

in zeitlupe aus dem straßenstaub machen will

im glauben wir würden schlafen

dabei wachen wir doch

gemeinsam die nacht hindurch


es herbstet schon

das bett duftet nach humus und schlamm 

lang liegenden feuchten blättern 

rehpisse trockenem wolfskot

verwelkten chrysanthemenblüten und schafschwingelbüschen

und dem kommenden milch-morgentau

– hier will ich schlafen heute 

   vor der eigenen port


hier hole ich meine nachtfalterflügel ein

zurück in die schulterblätter

auf das du sie nicht sehen kannst

und zumindest für diese nacht weißt:

bleiben wird er

für immer


und trotzdem

nach jeder umarmung

dein nackter körper 

von flügelschuppen bestäubt

erinnerin begleiterin seele 

gut dass du nicht vor sonnenaufgang

in den spiegel schaust


und in der dunkelheit

nicht siehst wie mir die mimikry 

mit jeder verlorenen flügelschuppe 

abhanden kommt von hier 

werde ich nicht mehr aufbrechen können

am morgen


mit größter anstrengung verharren 

die gefalteten flügel

abblätternd 

unter narbenähnlichem spalt


es ruft immer noch nach mir



APEX